Faust loslassen oder hineindrängen?
In meiner langjährigen Trainertätigkeit wurde und werde ich immer wieder gefragt, welches die wahre Tsuki-Waza ist. Ich möchte versuchen, eine komplexe Antwort in verständliche Worte zu fassen.
Laut Literatur unterschied Gichin Funakoshi zwei Arten von Tsuki: zum Einen den Tsuki-Banashi (loslassender Stoß), der im Augenblick des Einschlags wieder zurückgerissen wird, und zum Anderen den Tsuki-Komi (hinein drängender Stoß), der nicht unmittelbar zurückgezogen wird.
Es heißt, der Tsuki-Komi sei leichter zu erlernen und der Tsuki-Banashi würde nicht viel Wirkung zeigen. Meine Schüler kennen meine starken und schnellen Tsuki-Waza, welche ich je nach Situation als Tsuki-Komi oder Tsuki-Banashi ausführe. Beides mit vollster Kontrolle und ansatzlos. Jeder der beiden genannten Tsuki Waza hat seine situative Berechtigung. Nur muss man verstanden haben, welche Technik in der Realität des Karate von Bedeutung ist.
Fausstoß im Wettkampf
Im Sportkarate – ich nenne es so und entschuldige mich gleichzeitig bei allen Wettkampfathleten – sieht man meist nur Tsuki-Banashi: schnell zurückgezogene Gyaku-Tsuki, Kizami- Tsuki usw. Hierfür werden Punkte vergeben, dass einem manchmal die Haare zu Berge stehen. Aber Wettkampf und Budo sind bekanntlich zwei verschiedene Dinge.
Ich habe die Anmerkung gemacht, weil viele aus sportlichem Aspekt heraus den Tsuki-Komi belächeln und die Karatekas des Karate-Do – ich nenne sie nicht Traditionalisten – die Techniken des Tsuki-Banashi als wirkungslos belächeln. Ich sage: Man muss beides beherrschen!
Die Meinung des Sensei
Meine persönlich bedeutendsten Sensei wie Dr. Ilija Jorga (Fudokan) und Sensei Toshiaki Namiki (Shotokan) waren ebenfalls unterschiedlicher Ansicht. Damit konnte ich von beiden die jeweils unterschiedlichen Ansätze erlernen bin beiden sehr dankbar dafür.
Sensei Jorga war ein Verfechter des Tsuki-Banashi und ein wahrer Befürworter des Tsuki-Komi. Sensei Namiki hingegen sah es genau anders herum. Sensei Hidetaka Nishiyama gab dem Tsuki-Komi den Vorrang und höchste Bedeutung – den Tsuki- Banashi akzeptierte er nicht wirklich.
Die Interpretationen der stärksten Technik liegen immer in der Betrachtungsweise des jeweilig Trainierenden und dennoch sehe ich beide Ansätze auf einer Stufe. Man kann keine Technik favorisieren, da die Situation über deren Anwendung entscheidet. Hier liegt allerdings die größte Schwierigkeit im Erkennen, Wahrnehmen und Umsetzen.
Ein Beispiel: Mit Kihon-Ippon-Kumite kann man die Tsuki-Komi Technik trainieren und festigen. Mit Jiyu-Ippon-Kumite sollte ich eine kraftvolle Tsuki- Banashi Technik trainieren mit entsprechendem Fokus auf das anschließende Zanshin.
Der finale Schlag
Wenn ich Karate als Kampf sehe, dann muss ich auch wissen, dass es einen finalen Tsuki nicht immer geben wird und ich sofort eine weitere Technik anknüpfen muss. Das setzt sich meiner Erfahrung nach mit der Tsuki-Banashi-Technik am besten um. Liegt mein Gegner allerdings bereits angeschlagen am Boden oder wankt schon im Strand, dann ist wohl der Tsuki-Komi die sinnvollere Technik.
Sicher gibt es tausende andere Situationen, die meine beiden Beispiele widerlegen oder bestätigen könnten. Fakt ist jedoch: Wer den Tsuki-Banashi nur basierend auf Schnelligkeit ausführt, wird zwar Punkte im Wettkampf erhalten, aber niemals Wirkungstreffer erzielen können. Wer nur den Tsuki-Komi favorisiert, wird wohl eher selbst einen Treffer erhalten.
Leider liegt das Problem nicht in den beiden genannten Techniken, sondern eher in der Lehrweise der Meister. Die Wettkampfsysteme im sportlichen und traditionellen Lager unterscheiden sich in ihren Ideen. Diese Ideen entspringen wohl oftmals aus politischen Ambitionen als dem Ansatz der effektiveren, vorteilhafteren Technik. Sportlicher Wettkampf und reale Auseinandersetzung haben nichts Gemeinsames und sind daher nicht vergleichbar, auch wenn viele so argumentieren mögen.
Ich habe bei verschiedenen Meistern Lehrgänge besucht und Training genommen. Die Diskussionen über die Sinnhaftigkeit von Tsuki-Banashi oder Tsuki-Komi sind durch deren sinnvolle Anwendung meist schnell verstummt. Daher gebe ich der Diskussion selbst wenig Bedeutung, aber trotzdem sollte man sie führen – aber auf eine fundierte, sach- und anwendungsorientierte Art und Weise.
Fazit:
Beide Ideen sollten auf dem Gedanken der tatsächlichen Selbstverteidigung basieren. Weder sportlicher Vergleich noch traditionelle Wertigkeit dürfen dabei eine Rolle spielen. Es gilt der Grundsatz: Was funktioniert hat seine Berechtigung und was eine Wirkung erzielt, das funktioniert. Wir müssen als Trainer beide Techniken erlernen und verstehen lernen um diese Technikvielfalt entsprechend unseren Schülern zu vermitteln.
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Text: Thomas Züllich
Foto: Nils Wiemer Wiemers
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