K-I: Du arbeitest als Model und Stuntfrau. Das ist eine ungewöhnliche Kombination
Jules: Ich habe im Ausland gelebt und kam nach Deutschland, um in meinen Ferien historisches Fechten zu lernen. Dabei wurde ich vom Chef eines bekannten Stuntunternehmens beim Training gesehen. Und auch mein Fechtmeister Gerd, wollte mich schon nach 3 Trainingseinheiten nicht mehr weglassen. Er meinte, dass ich Talent hätte und sagte: “Bleib doch hier und mach was draus.” So kam ich zu „Rainer Werner Stunts in Berlin“.
K-I: Und zum Modeln?
Jules: Das fing mit einer Zeitungsanzeige an. Ein Fotograf suchte echte Sportler mit ansprechendem Aussehen für Sportaufnahmen weil das Können der ‘normalen’ Models für das Projekt nicht ausreichte. Die haben häufig gar nicht genug Kraft und Beweglichkeit um gewisse Posen um zusetzten. Gerade die Frauen dürfen ja oft außer strikt vorgeschriebenem Bodyshaping gar keinen Sport machen, damit sie keine sichtbaren Muskeln kriegen. Ich bin dann zu dem Casting gegangen, hab mir aber keine Hoffnungen gemacht, weil ich dachte, ich sei zu alt. Denkste! Na und so kam eines zum anderen und nach und nach immer mal wieder Aufträge. Anfangs habe ich fast ausschließlich Action Shoots gemacht, also Stunts für Fotoaufnahmen bei denen man nicht nur posiert, sondern mit oder ohne Waffen richtig vor der Kamera kämpft. Manchmal auch als Lara Croft Double oder als Emma Peel. Dazu kamen kleinere Film- und Videosequenzen sowie einige Live – und TV-Auftritte, z.B. bei Vox oder im RBB. Für einen deutschen Film habe ich die Kampfchoreografien entwickelt, Stunts gemacht und die Schauspieler für den Dreh trainiert. Sieben Damen ohne jegliche Kampferfahrung in viel zu kurzer Zeit von ‚Zero to Hero‘. Das war schon eine Aufgabe. Die mussten Fallen, Schlag-und Tritttechniken lernen, wie man mit Pistolen und Gewehren hantiert, sich anschleicht, Deckung gibt, Türen eintritt. Mit einer Darstellerin habe ich auch eine üble Prügelei und einen Messerkampf gemacht. Das war eine echt intensive Vorbereitung. Die Mädels haben sich sehr angestrengt! Mittlerweile arbeite ich aber auch als „ganz normales“ Model.
K-I: Wie ist Dein Kampfkunsthintergrund?
Jules: Mit 14 habe ich einen Selbstverteidigungskurs gemacht und gemerkt, dass es ein guter Einstieg ist, aber nicht genügt, wenn man’s wirklich können will. Bin dann beim Ju Jutsu gelandet was ich viele Jahre trainierte. Meinem damaligen Sensei verdanke ich viel. Er hat mich sehr gefördert. Der Stil war eine super Grundlage, weil er wirklich vielseitig ist. Die Kampfkunstfaszination hatte mich gepackt und wo sich die Möglichkeit bot andere Arten auszuprobieren und hinein zu schnuppern, hab ich es gemacht: Aikido, Boxen, Esrcima, Glima, Grappling, Hapkido, Jodo, Kali, Karate, MMA, Naginata, Ringen, Taekwondo, verschiedenes Wushu usw. Aber wie gesagt wirklich nur ‚reingeschnuppert‘. So viele Stile kann kein Mensch in einem Leben vernünftig lernen. Später kam noch Iai-Do hin zu. Ich hatte das große Glück eines alten japanischen Lehrmeisters: Kanai Sensei (†). Ein großartiger Mensch: sanftmütig, warmherzig und bescheiden. Und ein hervorragender Kämpfer bis ins hohe Alter. Man hat seine Schwerthiebe mal gemessen. An Schnelligkeit suchte er seinesgleichen. Auf seine Einladung hin durfte ich nach Japan reisen und dort ganz viel traditionelles Budo trainieren.
K-I: Hast Du bei Deiner Arbeit merkwürdiges oder skurriles erlebt?
Jules: (lacht) Oh ja! Einiges. Ein Kunde wollte mich für ein Kampfkunstshooting buchen und war beim Vorgespräch dann total enttäuscht, dass ich nicht fliegen konnte. Der dachte wirklich, Budoka flitzen wie im Film ‚Tiger und Dragon‘ durch die Lüfte. Half nichts, ihm zu erklären, dass das nur mit Hilfe von Wire Works geht. Der Gute war sehr enttäuscht und wollte mir nicht recht glauben. Vermutlich sucht er immer noch.
K-I: Gab es auch gefährliche Situationen?
Jules: Definitiv. Das Problem ist einfach, dass viele Leute -und manchmal auch die, die was zu sagen haben, beispielsweise aus Produktion oder Regie- oft keine Vorstellung davon haben, wie viel Arbeit in so einer paar Sekunden-kurzen Kampfszene steckt. Oft unterschätzen die die Gefahren. Wenn‘s gut gemacht ist, sieht es total leicht aus und geht ganz schnell. Aber dahinter steht unglaublich viel Vorbereitung und Präzision damit es echt aussieht und trotzdem keiner schwer verletzt wird. Man hat mich am Set mal angewiesen mit Pfeil und Bogen zu schießen obwohl eine große Gruppe von Leuten in der Schusslinie saß. Nicht auszudenken, wenn einer von denen plötzlich hochgekommen wäre. Eine kleine Unaufmerksamkeit, sei es weil ein Komparse Kopfhörer trägt und Musik hört oder ein dummer Zufall wie ein Wespenstich, und schon passiert ein ganz böser Unfall. Die Grundregel lautet: Immer HINTER dem Schützen bleiben. Aus Zeitgründen hat man sich geweigert, den Platz zu räumen. Da hab ich mich geweigert zu schießen. Pfeil in der Brust braucht kein Mensch. Das ist eine tödliche Waffe, kein Kinderspielzeug.
K-I: Wie gefährlich sind Stunts und hast Du Dich schon mal verletzt?
Jules: Für jemanden, der es nicht kann, ist das natürlich gefährlich. Klar gibt es blaue Flecken, Prellungen und auch mal Schürfwunden. Richtig verletzt habe ich mich dabei aber noch nie. Es ist ziemlich unfair, dass Stuntleute so hohe Versicherungsbeiträge zahlen müssen. Das sind keine hirnlosen Draufgänger. Die machen das ja weil sie es KÖNNEN. Sie wissen ganz genau wo ihre Limits sind. Zudem sind sie sehr fit und durchtrainiert. Das ist ein guter Schutz.
K-I: Sind Europäische Kampfkünste Deine besondere Leidenschaft?
Jules: Fechten mit den gängigen historischen Blankwaffen. Das geht ein- aber auch zweihändig, mit einem kürzeren Dagger und einer langen Waffe. Das ist koordinativ ganz schön anspruchsvoll, wenn 2 (oder mehrere) Menschen mit vier Waffen aufeinandertreffen, sich damit duellieren, aber nicht verletzten dürfen. Jede Bewegung muss Zentimeter genau sitzen, damit niemand Schaden nimmt, aber es im Film entsprechend echt aussieht. Das ist echtes Gehirnjogging.
„Mit einer Darstellerin habe ich auch eine üble Prügelei und einen Messerkampf gemacht. Das war eine echt intensive Vorbereitung. Die Mädels haben sich sehr angestrengt! Mittlerweile arbeite ich aber auch als ‘ganz normales’ Model.“
K-I: Man muss immer voll konzentriert sein?
Jules: Kleine Unaufmerksamkeiten gehen gar nicht. Routine ist gut aber sich zu sicher sein ist gefährlich. Wenn man einen schlechten Tag hat, zu müde oder unkonzentriert ist, bricht man das Training am besten ab. Safety ist oberstes Gebot. Was wie brutales Hauen und Stechen aussieht, ist in Wahrheit echte Feinarbeit. Am schwierigsten bislang fand ich Treppen-Fechten. Auf einer diagonalen Schräge mit Tempo, das verlangt einem echt was ab. Ständig hat man die Degenspitze vorm Gesicht. Da muss man wirklich sehr aufpassen. Man trägt ja keinen Schutz. Die Waffen sind zwar nicht scharf, aber so ein Auge und ein paar Finger sind schneller weg als man denkt. Zurzeit lernen wir Mantel- und Degenfechten. Das ist keine Filmerfindung, sondern tatsächlich ein historischer Kampfstil in dem der Umhang, statt Dolch, als Zweitwaffe eingesetzt wird. Die sind ziemlich schwer. Das tut ganz schön weh, wenn man einen Mantel abkriegt.
K-I: Von den Asiatische zu den Europäischen Kampfkünsten. War das leicht?
Jules: Ich musste mich ganz schön quälen. Vieles ist technisch ein Gegensatz zu den asiatischen Stilen. Dabei kommt ja vieles ‚aus der Hüfte‘. Man nimmt oft in der Defensive den Oberkörper zurück um das Gesicht zu schützen. Beine und Arme bewegen sich oft gegensätzlich, also rechter Arm vorne und linkes Bein. Beim Fechten ist man GLEICHSEITIG und in der Vorlage. Die Bewegung kommt aus dem Handgelenk. Die Fechtschritte sind ganz anders. Ich musste buchstäblich neu Laufen lernen. Beim Stunt kommt noch hinzu, dass man nicht voll treffen darf. Jahrelang trainiert man „Treffen“ und plötzlich darf man das nicht mehr. Dann auf „danebenhauen“ umzuschalten ist echt schwer gewesen.
K-I: Stellst Du Parallelen fest?
Jules: Wir haben zwar leider im Gegensatz zu den asiatischen Kampfkünsten große Überlieferungslücken, aber es ist schon so, dass die Menschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten sehr ähnliche Lösungen für die gleichen Probleme entwickelten. Die Wikinger benutzten eine Technik, die übersetzt „Frauenwurf“ heißt. Das ist ein Fußfeger und dem O Soto Gari sehr ähnlich. Der war für die Wikingerinnen, die ja oft alleine ihre Frau stehen und sich und ihre Leute verteidigen mussten. Oder Stocktechniken waren nicht nur auf Okinawa die Bauernwaffe. Der Bo ist als sogenannter Quarterstaff, für England, seit dem 16. Jahrhundert belegt. Nur dass der dort zwischen ca. 1,80 – 2,70 maß. Das Nunchaku entspricht dem Dreschflegel aus den hiesigen Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts. Die europäische Version wurde später zum „Streit- oder Kriegsflegel“ entwickelt und mit Spitzen und Nägeln versehen.
K-I: Machst Du noch asiatische Kampfkunst?
Jules: Dafür bleibt leider wenig Zeit. Wenn, dann meistens mit Kollegen. Für ein geregeltes Vereinstraining ist mein Job nicht geeignet. Wochenenden, Feiertage und vorhersehbare Arbeitszeiten gibt es nicht.
K-I: Was möchtest Du in Zukunft tun?
Jules: Noch mehr Martial Arts Szenen und Fechtduelle für Filme machen dürfen. Vielleicht sogar für große internationale Produktionen
Das Interview führte : Olaf Schönau.
Photos: Copyright © by the artists. Andreas Maria Kahn, Anna C Photography, Archiv Jules, Lichtschwimmer, Mark Fernyhough, Paul Edael, Steve Zhi␣, Tim Flavour, A. Waltenberg.
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Text und Bilder: Kampfkunst International
Eine Antwort to “Kampfkunst International stellt vor: “Jules Action Model””
Jun 24, 2014
Aristide ProkschSehr interessantes Interview, eine vielseitig interessierte Kampffrau, die mit Präzision und Liebe zum Details arbeitet. Respekt!